Mit dem Nachtzug in die Alpen nach Briançon

Anscheinend ist es in Frankreich üblich, das Gleis des abfahrenden Zuges erst 15 Minuten vor dem geplanten Zeitpunkt anzuzeigen? Fand ich etwas seltsam, beim Nachtzug waren es immerhin 30 Minuten. Denn jeder Mensch, der ein valides Ticket hatte, musste sich vorweg am Beginn des Bahnsteigs erstmal ein “Festivalarmband” abholen. Den Sinn habe ich nicht ganz verstanden, man hätte die Leute auch nach der Kontrolle einfach auf den Bahnsteig gehen lassen können. So wurde dann zehn Minuten später beim Betreten des Bahnsteiges nur noch das Bändchen kontrolliert.

Aber gut, nun sollte es mit dem Nachtzug aus der Großstadt Paris in das Alpenstädchen Briançon gehen.

In der ersten Klasse gibt es Vierer-Schlafabteils. Ich landete in einem mit einem älteren Paar, deutlich über 70, und einer Frau, ca. 45. Niemand der drei sprach auch nur ein Wort Englisch. Entsprechend war es schon ganz schön schwierig, die Reservierungen zu tauschen und dem älteren Paar den Wunsch der beiden unteren Betten zu erfüllen. Nachvollziehbar, überhaupt kein Problem, aber mit Händen und Füßen nicht so leicht zu erklären.

Es gab dann noch den einen oder anderen bösen Blick, als die Dame mittleren Alters um 22 Uhr ohne Absprache das Licht ausmachte und ich daraufhin ohne Absprache mein Leselicht anschaltete. Aber gut, da musste sie dann durch. Ich hab bis Mitternacht mein Buch ausgelesen, damit ich es nicht mehr tragen musste. Schade um das Buch, aber ich werde es kein zweites mal lesen. Es war nur ein Paperback und mein Rucksack war ganz schön voll und schwer.

Nachtzugfahren ist cool! Es gab für jeden einen frisch verpackten einfachen Schlafsack und ein Kissen. Dazu noch ein “Kit de Voyage” mit Schlafmaske, Ohrstöpsel und unnötigem Krams. Zumindest die Ohrstöpsel braucht man. Es ist ganz schön laut im Zug. Also nicht lauter als in einem normalen Zug. Aber wenn man ganz normal schlafen will, statt wie sonst übermüdet im Sitzen für 20 Minuten wegzunicken, hilft das schon.

Spannend war, wie sich Kurvenfahren anfühlt. Der Zug sah so aus, wie man sich einen regulären Intercity vorstellt. Und ich denke nicht, dass dieser besonders schnell Kurven fährt. Vermutlich ist das Liegen parallel zu den Achsen, entsprechend mit Beschleunigungen in Richtung Kopf und Füßen, einfach ungewohnt. Ich bin sehr gespannt, wie man im Zug der ÖBB von Rom nach Wien liegt und wie es sich dann anfühlt.

Morgens um fünf begann der Zug mit den ersten Halten. Für mich war dann auch irgendwie die Nacht vorbei. So richtig erhohlt war ich nicht. Waren ja nur fünf Stunden Und die hab ich nichtmal durchgeschlafen. Als es dann hell wurde, hab ich mich auf den Gang vor das Abteil gestellt und die Landschaft beobachtet.

Nach sieben Tagen Großstadtdschungel auf einmal in den Alpen zu sein und Berge zu sehen, war schon ein großartiges Gefühl. Ich kann jedem empfehlen, mit diesem Nachtzug aus Paris nach Briançon zu fahren. Das Zugfahren ist cool Aber in den Alpen aufzuwachen, ist schwer zu beschreiben, wenn man Berge mag.

Die Berge der Umgebung erkunden

Vom Bahnhof bin ich morgens um halb neun nur schnell ins Hotel, den Rucksack abstellen und dann gleich los, die Umgebung erkunden. Bis zum Checkin waren ja noch einige Stunden Zeit.

Dadurch, dass Briançon historisch irgendwie immer irgendwie Grenzstadt war, ist es schwer befestigt. Mehrere Forts in den Bergen drum herum; die Altstadt ist eine Festung für sich. Die Berge drum herum hatte ich mir zur Erkundung vorgenommen. Nach zwölf Stunden im Zug hatte ich entsprechenden Bewegungsdrang.

Ich bin vier Stunden durch die Gegend gewandert und hab dabei unabsichtlich schon mal ein paar Höhenmeter gemacht. Schöne Gegend, sich durch die alten Militär-Anlagen zu schlagen, war echt cool. Reingeschafft in Fort des Têtes oder ins noch höher gelegende Fort du Randouillet hab ich es aber leider nicht. Das lag nicht am jeweiligen Schild “Militärisches Sperrgebiet”, sondern daran, dass physische Befestigung mit Gräben und Mauern tatsächlich funktioniert. Und auf verrücktes Klettern hatte ich nicht so große Lust.

Ich traf zwischen den beiden Forts einen netten Einheimischen, der eigentlich aus Schottland stammte und Lehrer war. Die erste vernünftige englische Konversation seit Brüssel :)

Aye, the French men do not make an effort speaking English. Nor any other language.

ist ein Satz, der mir in starkem schottischen Akzent in Erinnerung bleiben wird.

Ich bekam den Tipp, den Rückweg etwas anders zu gehen als den Hinweg und mir die Pont d’Asfeld anzusehen. Was für eine schöne Brücke über ein richtig tiefes Tal! Und durch die historische Altstadt bin ich auch noch einmal durch. Eine wirklich schöne kleine Stadt. Die, wie ich später erfahren sollte, häufig Etappenstart und -ende der Tour de France ist. Und auch schon einige Male die erste Etappe gastgegeben hat.

Um drei bin ich dann nach einem kleinen Snack aus dem lokalen Supermarkt ins Hotel, einchecken und duschen. Nach der Nacht im Zug und der Wanderung durch die Berge bei ganz gut Sonne war das unbedingt nötig. Ich hab mich dann eine Stunde hingelegt und bin dann zum Abendessen und ein wenig die Innenstadt-Erkunden nochmal raus. Ganz viel passiert ist da aber nicht mehr.

Am nächsten Tag war um 6:30 Aufstehen angesagt. Ich wollte um sieben beim Frühstück sein. Laut Komoot sollte die 12,5 km Wanderung von Briançon nach Claviere 3:15 Stunden dauern. Und um 11:15 sollte der einzige Bus von Claviere nach Oulx fahren, mit dem ich noch die Züge erreichen würde, um am Abend bis Venedig zu kommen. Also um halb acht los, um eine halbe Stunde Puffer zu haben.

Durch strömenden Regen nach Italien

Nachdem ich aufgewacht war, hatte ich den ersten moralischen Rückschlag des Tages. Aus den angekündigten wenigen Regentropfen war über Nacht starker Dauerregen geworden. Und die Vorhersage sah bis zum Mittag nicht nach Besserung aus. Ich habe ernsthaft kurz überlegt, ein Taxi zu nehmen, konnte mich dann aber doch durchringen, zu wandern.

Nach dem echt leckeren Frühstück im Hotel ging es los. Ich hatte ja nun leider nicht das perfekte Equipment für so eine Wanderung am Start. Der ca. 15 kg schwere Rucksack war okay. Vor allem hat er ein vernünftiges Regencover. So ganz am Rande und ohne Werbeabsicht: Den Osprey Kestrel 48 zu kaufen, war wirklich eine gute Wahl.

Problematisch war, dass ich zwar eine gute Regenjacke dabei hatte, aber keine Regenhose. Das Wasser vom Oberkörper muss ja irgendwohin. Insofern war klar, dass die Oberschenkel einfach nass sein werden.

Viel schlimmer waren aber die falschen Schuhe. Ich bin ja die ganze Tour nur in meinen Laufschuhen unterwegs, weil ich kein zweites Paar mitnehmen wollte. Klar, eine Paar Wanderschuhe mit steifer Sohle und Profil wäre an einigen Stellen nett gewesen. Aber das ging schon so. Die Laufschuhe waren aber, wie leider beim Frühstück schon erwartet, nach nur einer halben Stunde komplett durchnässt. Also musste ich im Prinzip die gesamte Wanderung mit klatschnassen Füßen durchziehen. Sowas geht am besten, wenn man keine Pause macht, denn sobald man stehen bleibt wirds kalt und eklig.

Es ist wirklich beeindrucken, was Regen, Kälte, Nebel und Zeitdruck mit der Motivation machen. Klar, ich musste mich erst durchringen, überhaupt zu starten. Aber dann bin ich knapp 14km bergauf in zweieinhalb Stunden gelaufen. Waren wohl noch ein oder zwei Umwege drin.

Der Weg war richtig steil. Im Durchschnitt 5,5% Steigung bedeutet, dass man nicht nur durchgehend bergauf geht. Sondern dass man nach einem Stück mit 10% Steigung, und davon gab es einige, auch nur ein paar Meter mit geringer Steigung hat, bevor es wieder richtig rauf geht. Ganz schön krasse Wanderung, aber ich kann mir merken, dass mein Bergauf-Tempo, was in verschiedensten Wanderurlauben schon als hoch bezeichnet wurde, wirklich fix ist. Ich hätte mal meinen Pulsgurt ummachen solle. Aber daran hatte ich morgens nicht gedacht.

Was ich mir aber merken werde, ist in Komoot das Fitness-Level beim Wandern von “Athletic” auf das Maximum “Pro” zu stellen. Dann hätten die zweieinhalb Stunden (für 12,5 km) auch gepasst.

Wanderung

Dass ich jetzt in Claviere, Italien etwas mehr als eine Stunde Zeit hatte, war aber echt gut. Ich habe in dem kleinen, relativ ausgestorbenen Ski-Ort ein geöffnetes Café gefunden. Italiener sind so unglaublich herzlich. Ich hab mich nett unterhalten, zwei Espresso getrunken, abgetrocknet, aufgewärmt und ein frisches Shirt angezogen. Und nebenbei den interessierten zwei Angestellten und drei weiteren Dorfbewohnern die Geschickte meiner Wanderung erzählt.

Das der Kaffee in Italien lecker und günstig ist, ist ja bekannt. Aber dass ich darum streiten musste, ihn überhaupt bezahlen zu dürfen, weil wir uns so nett unterhalten hatten, war mir neu. Tolles Erlebniss nach der ganze Großstadt Anonymität der Tage davor.

Als ich mich zur Bushaltestelle aufmachte, war draußen strahlender Sonnenschein. Etwas ironisch.

Nun hing ja von diesem Bus ab, ob ich es am Abend bis Venedig schaffen oder irgendwo in einer Bushaltestelle schlafen würde. Bzw. realistischer, mir spontan in Oulx, Turin oder wie weit auch immer ich kommen würde, ein Hotel suchen müsste.

Also stand ich da, es wurde 15 nach, 20 nach, 25 nach …und kein Bus in Sicht. Für eine spontane Wanderung 17 km nach Oulx hatte ich zulange im Café gesessen. Das war nicht mehr zu schaffen. Gab es Taxis? Google hat mir nicht helfen können.

Vielleicht hätte ich einen der Menschen aus dem Café bitten können, mich zu fahren? Viele Gedanken und leichte Panik. Aber letzlich kam der Bus dann, knapp 20 Minuten zu spät, doch noch.

Nachdem ich dann leicht verspätet in Oulx angekommen war, hatte ich auch dort noch eine Stunde bis zum Zug. Die hab ich auf dem einsamen Bahnsteig genutzt, um meinen Rucksack einmal auszuräumen und alles, was nass war, zu trocknen.